Das Ziel ist die Losgelassenheit …

Bamboo hatte sich eine längere Pause gegönnt, da er auf die geniale Idee kam mit seinem enormen – an sich gegen Null gehenden – Springvermögen über einen 160cm hohen Weidezaun zu springen, sich dabei eine Zerrung zuzuziehen und nach Genesung als erstes in einen Nagel zu treten. Das hat ihm dann wiederum einige Wochen Pause eingebracht, die er zuerst humpelnd und dann sichtlich vergnügt mit einer Verpackung um den Huf verbracht hat. Sein Züchter bezeichnet ihn immer liebevoll als planlosen Chaot – was er auch unbedingt ist.
Jetzt ist er wieder fit und es kann wieder langsam losgehen. Bei einem großen Pferd wie Bamboo mit seinem instabilen rechten Knie und dem damit verbunden etwas lockeren Knieband merkt man solche Pausen (leider) sehr deutlich. Es kommt wieder vermehrt zu Blockaden am Bereich TH17, L2 und L5. Die stützenden und kraftgebenden Muskeln der Hinterhand, die ja sowieso noch nicht so stark entwickelt waren, werden nach so einer Pause auch wieder schwächer und so fällt es ihm schwer, mit Kraft aus der Hinterhand zu schieben.
Da er seine schlechte Vergangenheit offenbar weitestgehend hinter sich gelassen hat, sind die früheren Probleme wie Herausheben, gegen die Hand gehen, das nicht Annehmen der halben Paraden und das schleppende Hinterbein mit der klemmigen Bewegung glücklicherweise nicht wieder aufgetreten. Somit ist es etwas einfacher, ihn anzuschieben.
Ihm fällt es leichter, sich loszulassen und den Rücken herzugeben, wenn er vor dem Reiten ablongiert wird.
Es hat sich dazu (seit Jahrhunderten) bewährt, ein Pferd mit Dreieckszügeln und Gebiss zu longieren. Für alle Kappzaum-Vertreter und Gebisslos-Anhänger: Das Pferd gibt dadurch den Rücken her, nimmt das Gebiss an und stößt sich davon ab. So wäre es nett, wenn wir bei der Analyse dieses Artikels diesen Nebenkriegsschauplatz nicht aufmachen müssten. Da nämlich unsere Pferde im Rücken und Kopf alle gesund und klar sind, kann das nicht ganz so falsch sein.
Bamboo beim Lognieren zur Vorbereitung des Reitens. Das erleichtert Reiter und Pferd die Lösungsphase.
In der Lösungsphase:
Bamboo im Schritt beim Zügel aus der Hand kauen lassen bis zur Schnalle.
Zu Beginn der Arbeit unter dem Sattel ist mein Ziel, dass er gleich zu Beginn den Hals fallen lässt und Zügel aus der Hand kauen lassen im Schritt geht. Das macht den Rücken als Bewegungszentrum richtig locker. Dazu reite ich viel große und die kleine Achten, Schlangenlinien, viele Handwechsel und große Volten.
Danach folgt im Allgemeinen das Übertreten und auf gerade und gebogener Linie. Da er nach der Pause in der Rippenpartie nicht mehr so geschmeidig ist, fällt es ihm schwer, die innere Hüfte in den Wendungen zu senken. Viele Pferde – so auch Bamboo – verwerfen sich dann schnell im Genick. Das kann man dadurch reduzieren und mit der Zeit abschalten, dass man sie auf der festen Seite immer wieder auf der gebogenen Linie übertreten lässt. Das macht Becken und Schulterpartie locker und die Pferde geben schneller im Genick nach.
Lässt man dem Pferd die Zeit, werden Stellung und Biegung wieder besser und die Pferde nehmen wieder vermehrt Last auf. Das kann Bamboo zur Zeit noch nicht.
Bamboo beim Übertreten lassen im Schritt.
In der Arbeitsphase
Wenn man mit Bamboo mehrere Lektionen hintereinander reitet, ist er schnell aufgeregt und wird unsicher. Es hat sich bei ihm als die Lösung des Problems bewährt, wenn man ihn richtig Vorwärts galoppieren lässt. Da er mittlerweile wieder Freude an seiner Bewegung hat, gibt er auch richtig Gas und manchmal hat man bei der riesigen Übersetzung das Gefühl, man müsse sich anschnallen.
Er bleibt aber mittlerweile bei mir und geht nicht mehr von der Fahne und somit lasse ich ihn gerne immer weider zwischendurch richtig Knattern. Das macht ihm Spaß und er schlenkert schon mal übermütig mit dem Kopf und schnaubt zufrieden ab.
Bamboo im leichten Sitz im frischen Galopp.
Vom ersten Reiten an war sein größtes Problem der Trab. Er hatte zwar einen sehr spektakulären Trab (mit den Vorderbeinen….), aber leider ein schleppendes und wenig aktives Hinterbein. Das lag daran, dass er mit der Nase immer hinter die Senkrechte geritten wurde und der Kopf vermutlich nicht selten mit Kraft und Druck oder Schlaufzügeln herunter gezogen wurde. Hatte er diesen Druck nicht, hob er sich heraus. Wenn er dann nach 20-25 Minuten den Hals endlich fallen lassen konnte, wurde er langsamer und triebiger und drückte in die Hand. Die Nase war dann zwar in der Tiefe, aber man merkte, dass er sich dabei verspannt und ihm die Kraft fehlte, den Rücken zu heben, er lief auf der Vorhand.
Nach einigen Runden wurde es besser, aber nicht wirklich gut. Das ist jetzt leider in den Ansätzen wieder so. Ich lasse die Nase dann vor und versuche ihn fleißig vorwärts an die ruhig aushaltende Hand an die Hand heranzureiten, gebe alle zwei bis drei Tritte eine halbe halbe Parade. Es fällt ihm jetzt wieder schwer, sich vom Gebiss abzustoßen. Zwischendurch kann er es für ein paar Tritte halten. Dann sucht er die Anlehnung und lässt den Hals fallen. Der Rücken kommt dann wunderbar zum Schwingen und er schnaubt zufrieden ab. Dann fällt er wieder etwas auseinander und gibt den Rücken nicht mehr ehrlich her.
Das sieht man auch deutlich auf dem folgenden Foto. Es ist in solchen Momenten gar nicht so einfach, sich selbst dazu zu zwingen, nicht mit der Hand einzuwirken. Dann würde er sich nur verspannen und das Gebiss überhaupt nicht mehr annehmen. Also reite ich einfach nur vorwärts, versuche das Hinterbein fleißig zu halten und denke mir: Wird schon irgendwann werden …
Deutlich zu sehen, dass Bamboo das Gebiss im Trab nicht annimmt. Eine tiefere Einstellung des Halses mit kurzem Zügel zu erzwingen, wäre genau der falsche Weg…
Zwar sind die Entwicklungsschritte nur klein und ich hätte mir schnellere Erfolge gewünscht, aber dafür sitzt das, was er verinnerlicht hat zu 100 Prozent und somit ist es mehr als in Ordnung. Würde ich mehr verlangen, als er zur Zeit leisten kann, dann würde er vermutlich unsicher, würde sein Vertrauen zu mir verlieren und im schlimmsten Falle in alte Muster und Widersetzlichkeiten verfallen.
Also lassen wir uns Zeit und reiten ihn mit der Ziel der inneren und äußeren Losgelassenheit!
Wie würde Herr Stecken jetzt sagen: „Losgelassenheit steht am Anfang und am Ende und sie ist das Ergebnis einer stressfreien, pferdegerechten und reiterlich richtigen Arbeit!“
Mit diesem wunderbaren alten Mann immer im Hinterkopf weiß ich, es dauert es so lange wie es dauert und so freuen wir uns über jeden Erfolg